Home / Essays / 2015 / December

Türschild

Zeitig am Morgen ging ich wieder die Treppen hinunter. In der Tasche hatte ich auch diesmal wieder eine kleine Zeichnung, die in Kürze an der Tür von Hans kleben sollte. Nachdem wir uns eine lange Weile nicht gesehen und gesprochen hatten, weil er einen neuen Bekanntenkreis um sich geschart hatte, beschloss ich eines Tages, wieder den Informationsaustausch zu starten. Eine Zeichnung pro Woche sollte an seiner Haustür landen. Die Absicht dahinter war einfach zu durchschauen: er sollte einfach wissen, was ich so treibe, denn ich dachte mir, dass er vielleicht doch neugierig sein könnte. Der Kontakt wurde ja auch von mir ruhig gestellt, da Hans es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, nicht mehr zu zu hören, selbst dann, wenn er Fragen gestellt hatte, sondern nur noch sein Leiden zu schildern und seine Besucher konsequent, auf eine subtile Art und Weise auszunutzen: „Bitte nimm mir doch Zigaretten mit, wenn du kommst.“, „Bitte borg mir Geld, weil die Bank heute meine Rente noch nicht hatte und mit der Bankomatkarte kenn ich mich nicht aus!“, „Bitte bring mich ins Burgenland, Du könntest dir bei dieser Gelegenheit auch einmal die Räumlichkeiten anschauen!“ und so weiter. Diese und noch unzählige, viel subtilere Ansagen gäbe es noch aufzuzählen, aber das ist wohl nicht mehr notwendig. Jedenfalls hatte er eine Art Menschen zu manipulieren und für sich aus zu nutzen, ohne dass man ihn böse sein konnte. Transversal betrachtet, konnte diese Zeichnung nun doch Einiges in Gang bringen. Druckwellen, die sich vom Vorderlappen des Gehirnes fortpflanzen in Richtung Gehirnstamm, waren darauf abgebildet. Neuerlich, es lag auch an den räumlichen Begleitumständen, hatte ich mich auf kleinere Papierarbeiten verlegt. Obwohl diese Form nicht gern gesehen wird aufgrund geringerer Haltbarkeit, steckte ich mehr Energie und Zeit in diese kleinen Kunstwerke, auch in der Hoffnung, diese erstens besser zu verkaufen können und zweitens, sollte erstens nicht klappen, einfach besser verstauen zu können.

Mut

Ich sitze hier, der Bildschirm leuchtet mir ins Gesicht, meine Augen sind gereizt vom Rauch der Zigaretten und wahrscheinlich auf vom Alkohol. Ich denke nur an Dich. Ich kenne Dich wahrscheinlich nicht so gut, wie ich Dich kennen sollte, aber gut genug, um zu wissen, was in deinem Kopf vorgeht. Verzeih mir, dass ich mir anmaße, zu wissen, wie deine Gedanken funktionieren. Ich weiß es nicht, wie Du denkst. Nur bin ich Dir ähnlich und so glaube ich zu wissen, was in deinem Kopf vorgeht. In diesem kleinen Teil deines Körpers ist ein Kraftwerk, eine Werkstätte, ein Labor. Du kannst es nach außen hin nicht zeigen, dein eigener Apparat hindert Dich, deine Ideen und Gedanken mitzuteilen, doch bist Du etwas Besonderes. So gut mag ich Dich noch nicht zu kennen, doch kenne ich mich. Sozial gesehen bist Du ein Krüppel, verzeih mir den Ausdruck mein Freund, aber ich bin nicht anders. Dein Schädel ist voller Ideen, voller Gedanken… und doch schaffst Du es nicht, sie frei für die Menschheit zu lassen, frei für Alle. Du magst ein Genie sein, verborgen vor allen anderen, doch die Gesellschaft funktioniert so nicht. Willst Du ewig einsam vor deinem Schreibtisch hocken, einsam mit deinen Gedanken und Worten und darauf hoffen, dass Dich eine Person, ein Mensch, der genauso denkt, der deine Ideale teilt, findet und sagt, dass er den Rest deines Lebens mit Dir teilen will. Träume weiter mein Freund… Du kannst Dir noch so viele Filme, noch so viele Bücher lesen in denen dieser Moment passiert, doch ich sage Dir eines. Diese Scheinwelt wird nicht zur Realität. Denn in dieser Scheinwelt gibt es weder Schmerz noch Leid, und wenn es Schmerz und Leid gibt, dann handelt es sich um Herzschmerz und Liebeskummer. Also steh auf, verlasse deine Welt für den Augenblick und lebe im Jetzt. Öffne dein Herz gegenüber den Menschen, die Dich umgeben. Ich kann Dir nicht versprechen, dass Du nicht leiden wirst, denn das wirst Du. Ich kann Dir auch nicht versprechen, dass Du dein Glück, deine Liebe finden wirst. Doch wenn ich ehrlich sein darf mein Freund und wäre ich ein Freund, wenn ich Dich anlügen würde, wenn Du es nicht versuchst, wirst Du nie erfahren, ob es funktioniert. Glaube mir, ich selbst stehe nur mit einem Fuß im Leben. Es ist nicht falsch, in einer anderen Welt zu sein, doch diese Welt gibt es nur ein einziges Mal und Du wärst ein Narr, wenn Du es nicht versucht hättest.

Mr. Robot

Getrieben von dem Alltag, genötigt von der Wirtschaft, treibe ich dahin. Mein Kopf und mein Körper sind wie in Trance, gesteuert von einer höheren Macht. Nicht von einer Macht, die unsere Träume aufleben lässt, nicht von einer Macht, die will, dass wir unser Bestes geben und über unsere Grenzen schreiten. Eine Macht, die uns kontrollieren will, im Geiste wie im Körper. Wie Roboter sollen wir funktionieren und wir sollen uns fühlen, als ob unser Dasein gerechtfertigt ist. Die uns glauben lässt, dass das, was wir machen, das einzige ist, warum wir auf diesem blauen Planeten sind. Betäubt von dieser Realität gibt es doch Momente, in denen ich ausbrechen kann. Mag es sein, dass ich ein Glas Whisky zu viel habe, eine Zigarette hatte, aber langsam schließen sich Ranken, wie wenn Efeu wächst, um meinen Kopf und langsam bricht die Schale auf und die Gedanken fließen heraus. Es ist wie eine Explosion. Zuerst abgestumpft, fühle ich nun alles um mich herum. Bin traurig, bin glücklich, bin wütend, bin zufrieden. Und in diesen kurzen Momenten muss ich meinen Gedanken freien Lauf lassen und schreiben. Ich muss die ganzen Bilder in meinem Kopf zu Worten fassen, denn ich weiß nicht, wie lange es so sein wird und ich wieder in diese triste Welt zurückkehre, in der ich nur dazu da bin um zu funktionieren. Mein Schlüssel ist eine Kombination aus allem und doch ist es die Musik, die mich zu diesem Zeitpunkt bringt. Freunde sagen, es sei eine depressive Musik, doch den Schmerz spüren und ihn verstehen, macht mich zu einem anderen Menschen. Wir können nicht alle in einer Scheinwelt leben, in der es keine Trauer und keinen Schmerz gibt. Vielmehr ziehe ich meine Stärke daraus, diese Trauer und diesen Schmerz auch als Teil meiner anzunehmen. Denn Glück und Freude sind ein Teil meines Lebens, aber diese Teile können nicht existieren, wenn es nicht die Gegensätze gibt. Also mein Freund, sieh es nicht als Schwäche an, wenn Du diese Gefühle hast. Nimm sie genauso an, wie wenn Du durch das Gras hüpft und glaubst, nichts könnte Dich erschüttern. Denn all diese Gefühle machen Dich aus. Und wenn Du nicht alles fühlen würdest, wärst Du nur ein einsamer Roboter, der auf seinen nächsten Befehl wartet.